09.12.2025 | Marla Fehlmann
Standortattraktivität im Würgegriff der Bürokratie
Überbordende Regulierungen und Formulare: Wer ein Unternehmen führt oder gründen will oder auch wer bauen will kennt die Anforderungen und/oder den riesigen Papierberg. Neue Zahlen zeigen das Ausmass dieses Problems: Über 30 Milliarden Franken Bürokratiekosten könnten in der Schweiz jedes Jahr vermieden werden, wenn Behörden effizienter und digitaler arbeiten würden. Dieses verschwendete Geld, hätte eigentlich in Innovation, Arbeitsplätze und Wachstum fliessen könnten. Stattdessen lähmt die Kostenfalle Bürokratie zusehends die Wirtschaftsdynamik in der Schweiz.
Der Wirtschaftsstandort Schweiz verdankt seinen Wohlstand traditionell verlässlichen Institutionen und unternehmerischer Freiheit. Doch diese Standortqualität ist kein Selbstläufer. In der letzten Legislaturperiode wurden auf Stufe Bund 203 Gesetze und Verordnungen neu geschaffen oder revidiert und der Trend zu mehr Vorschriften hält an. Jedes neue Formular, jede zusätzliche Auflage mag einzeln gut gemeint sein, im Grossen und Ganzen aber entsteht ein regelrechter Bürokratie-Dschungel, welcher Firmen Ressourcen entzieht. Exzessive Regulierung und hoher administrativer Aufwand hemmen Innovation, bremsen Investitionen und ersticken unternehmerische Dynamik, gerade bei kleineren Betrieben. Nicht ohne Grund warnt der Gewerbeverband: Die Bürokratie trifft KMU härter als Konzerne. Grosse Unternehmen können eigene Compliance-Abteilungen unterhalten; ein Start-up oder Familienbetrieb hingegen kämpft mit jeder Stunde, die für Papierkram statt für Kunden und Produkte verloren geht.
Die Folgen dieser Entwicklung sind alarmierend. Laut einer neuen Studie der „BSS Volkswirtschaftliche Beratung AG“ und des „Ifo Instituts“ hätte das Schweizer Pro-Kopf-BIP heute rund 5 % höher liegen können, hätte man vor zehn Jahren einen vergleichbaren Bürokratieabbau durchgeführt wie andere Länder. Über 30 Milliarden Franken jährlich, so viel an unnötigem Aufwand könnte man einsparen, wenn Behörden ihre Prozesse auf international effizientes Niveau brächten. Zum Vergleich: Insgesamt schätzt man die Regulierungskosten auf rund 80 Milliarden Franken pro Jahr. Ein beträchtlicher Teil unserer Wirtschaftsleistung wird also schlicht durch Überregulierung aufgefressen. Diese versteckten Kosten von Bürokratie mindern nicht nur Gewinne, sondern auch Löhne, Investitionen und letztlich Steuereinnahmen. So wird die Bürokratie zur Wohlstandsbremse für uns alle.
Auch die Produktivität leidet, wenn hochqualifizierte Fachkräfte ihre Zeit mit Verwaltungsaufgaben verbringen. Viele Mitarbeitende sind gezwungen, einen viel zu grossen Teil ihrer Arbeitszeit in Formulare, Berichte und Bewilligungen zu investieren. Würde man diese unnötigen administrativen Pflichten abbauen, entspräche das laut dieser Studie einer Freisetzung von über 55’000 Vollzeitstellen für wirklich produktive Tätigkeiten. Anders gesagt: Das Potenzial einer ganzen mittelgrossen Stadt an Arbeitskräften wird derzeit in der Bürokratie gebunden, ein Irrsinn, den wir uns im Zeichen von Fachkräftemangel und Innovationsdruck eigentlich nicht leisten können.
Ein attraktiver Standort zieht Investitionen an, fördert Firmengründungen und schafft zukunftsfähige Arbeitsplätze. Das gilt global, aber auch im Wettbewerb zwischen Kantonen und Städten. In der Schweiz sind Steuern oft eines der entscheidensten Kriterien für die Standortwahl, zunehmend entscheidet aber auch die administrative Belastung darüber, wohin sich Unternehmen ansiedeln oder expandieren. Ist das Verfahren für eine Baubewilligung mühsam und langwierig? Muss man dieselben Firmendaten zigfach unterschiedlichen Ämtern übermitteln? Solche Faktoren sind entscheidend für die Beurteilung, wie unternehmerfreundlich eine Region ist.
Dabei lohnt sich ein Blick ins Ausland: Viele halten die Schweiz für das liberalste und wirtschaftsfreundlichste Land Europas, doch manche Konkurrenzstandorte haben uns überholt. Skandinavische Länder wie Schweden oder Dänemark etwa haben ihre Behördenprozesse deutlich effizienter gestaltet und konsequent digitalisiert. In der Schweiz hingegen können Projekte auf dem Weg von der kantonalen Richtplanung bis zur kommunalen Baubewilligung etliche Instanzen durchlaufen und auf jeder Ebene durch Einsprachen verzögert werden. Ein Beispiel: In der Schweiz warten Unternehmen für eine Baugenehmigung im Schnitt rund 156 Tage, länger als im OECD-Durchschnitt. Wer vor dieser Realität die Augen verschliesst, riskiert, dass Firmen und Talente dorthin abwandern, wo die Bürokratiehürden niedriger sind. Standortattraktivität ist eben kein Naturgesetz, sondern Ergebnis kluger Entscheidungen, oder unkluger, wenn wir den regulatorischen Wildwuchs weiter wuchern lassen.
Um die Wettbewerbsfähigkeit und den Wohlstand zu sichern, müssen wir also auch bei uns die Bedingungen ständig hinterfragen: Bieten wir schnelle Bewilligungsverfahren, digitale Services und verlässliche Regeln? Oder verlieren wir als Standort an Reiz, weil Innovationsprojekte erst einmal einen Bürokratieteppich abzuarbeiten haben? Die Schweiz lebt von ihrer Standortqualität, aber diese Qualität will täglich neu verdient sein. Statt Unternehmen immer neue Steine in den Weg zu legen, sollte der Staat zum Enabler werden, zum Möglichmacher für wirtschaftliche Tätigkeit. Es darf nicht sein, dass im Jahr 2025 manches Amt noch auf Fax und Papier besteht, während andere Länder ihre Amtswege längst per Mausklick erledigen.
Schliesslich ist Planungssicherheit ein Standortvorteil, den die öffentliche Hand aktiv bieten kann. Unternehmen investieren dort, wo die Regeln berechenbar sind. Ständige Regulierungsänderungen, seien es neue Gebühren, abrupte Umweltauflagen oder wechselnde Bauvorschriften, verunsichern die Wirtschaft. Verlässliche, stabile Rahmenbedingungen dagegen schaffen Vertrauen und ermöglichen es Firmen, langfristig zu planen.
Am Ende dient ein Bürokratieabbau nicht allein den Unternehmen, er nützt der gesamten Gesellschaft. Weniger Bürokratie schafft Wohlstand, stärkt die Wettbewerbsfähigkeit und führt langfristig zu höheren Steuereinnahmen. Denn florierende Firmen zahlen mehr Steuern und bieten sichere Jobs.
Unsere Wettbewerbsfähigkeit hängt davon ab, ob jetzt die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Ein umfassender Abbau unnötiger Vorschriften und eine Verwaltung, die im Dienst der Bürger und Betriebe denkt, sind kein Luxus, sondern Voraussetzung, damit die Schweiz, Kantone und Gemeinden auch künftig an der Spitze mitspielen können. Denn attraktive Standorte und wirtschaftlicher Wohlstand gehen Hand in Hand, und beides müssen wir aktiv verteidigen.
Marla Fehlmann
Redaktion Forum Winterthur
Quelle: Medienkonferenz Dachverbände der Wirtschaft vom 24.11.25: Kostenfalle Bürokratie: Wo die Schweiz handeln muss
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Kommentar schreiben09.12.2025 | Lilo Fässler
Liebe Marla
Das ist ein brisantes Thema. Ich finde Du hast die Thematik, verständlich formuliert und auf eine gute Art, den Leser informiert. Wie heisst es so schön : zu viele Köche verderben den Brei? Oder versalzen die Suppe. Ich bin stolz und dankbar, dass ich Dich „ als eines meiner Enkelkinder habe!“ Dini Grösslä