
01.10.2025 | Dr. Ralph Peterli / Rolf Gloor
Ruhe vor dem Sturm
An den Finanzmärkten scheint alles im Lot – trotz schwächerem Wachstum, steigender Inflation und zunehmender politischer Eingriffe. Während die Börsen neue Höchststände markieren, zeigen die Fundamentaldaten ein anderes Bild: Die US-Wirtschaft kühlt sich ab, Europa tritt auf der Stelle, China kommt nur langsam voran, und auch die Schweiz verliert an Dynamik. Historisch waren Phasen dieser Sorglosigkeit oft Vorboten heftiger Korrekturen. Umso wichtiger ist es, die globalen Entwicklungen im Detail zu betrachten.
Die amerikanische Konjunktur verlangsamt sich spürbar. In den letzten Monaten entstanden nur noch rund 100'000 neue Stellen – ein Bruchteil des Vorjahres. Auch die Konsumentenstimmung ist angeschlagen, während neue Zölle den Preisdruck weiter erhöhen. Besonders kritisch: Präsident Trumps Eingriffe in zentrale Institutionen wie die Notenbank und die Statistikbehörde untergraben das Vertrauen in die wirtschaftspolitische Stabilität. Kurzfristig reagieren die Märkte gelassen, doch die Rezessionsgefahr steigt.
Die chinesische Wirtschaft zeigt leichte Stabilisierungstendenzen, ein klarer Aufschwung bleibt jedoch aus. Die Industrieproduktion hält sich solide, trotz hoher US-Zölle. Die Binnennachfrage hat sich etwas verbessert, bleibt aber schwach. Positiv ist, dass die Deflationsrisiken des Vorjahres überwunden sind und die Kerninflation nun knapp unter 1 % liegt. Damit stabilisiert sich die Lage, ohne dass eine echte Wachstumsdynamik sichtbar wäre.
In der Eurozone bleibt die reale Wirtschaft schwach: Auftragseingänge und Produktion steigen nur verhalten, Deutschland verzeichnet bislang gar kein Wachstum im laufenden Jahr. Gleichzeitig hellen sich die Stimmungsindikatoren in mehreren Ländern auf – ein kleiner Hoffnungsschimmer. Die Kerninflation verharrt jedoch über 2 %, getrieben durch Dienstleistungen, was die Spielräume der EZB einschränkt.
Auch die Schweiz spürt den Gegenwind. Exportindustrien leiden unter US-Zöllen, die Pharmabranche zusätzlich unter regulatorischen Hürden. Gleichzeitig schwächelt die Binnenkonjunktur: Konsumenten und Dienstleister zeigen geringe Zuversicht. Die Inflation ist auf 0.7 % gefallen – was der SNB zwar mehr Spielraum gibt, zugleich aber die schwache Nachfrage widerspiegelt.
Bemerkenswert ist die Diskrepanz zwischen Konjunktur und Marktstimmung. Aktienkurse steigen weiter, während Volatilität und Risikoaufschläge auf historisch tiefem Niveau verharren. Gold hingegen markiert neue Allzeithochs (+35 % seit Jahresbeginn in USD, +20 % in CHF) – ein klares Signal, dass Investoren das Risiko im Hintergrund sehr wohl wahrnehmen.
Die aktuelle Lage erinnert stark an eine „Ruhe vor dem Sturm“: Märkte wirken stabil, doch die ökonomischen und politischen Fundamente erodieren. Für Anleger heisst das: Wachsam bleiben, Risiken aktiv steuern und die Diversifikation nicht vernachlässigen.
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