Forum Winterthur

19.12.2025 | Andrin Gross
Irreführende Neubewertungen verschleiern strukturellen Probleme der Stadt

Der Winterthurer Stadtrat präsentierte dem Parlament ein Budget mit einem scheinbar komfortablen Überschuss von rund 113 Millionen Franken. Dieser Gewinn wird als Beleg solider Finanzpolitik verkauft. Bei genauer Betrachtung zeigt sich jedoch: Es handelt sich um einen buchhalterischen Sondereffekt, der die tatsächliche finanzielle Lage der Stadt verzerrt. Die operative Realität bleibt angespannt, die strukturellen Probleme ungelöst.

Die Budgetdebatte im Parlament hat deutlich gemacht, dass hinter dem positiven Ergebnis kein nachhaltiger Fortschritt steht. Der ausgewiesene Überschuss basiert nahezu vollständig auf einer Neubewertung von Liegenschaften im Finanzvermögen. Diese Neubewertung erzeugt keinen realen Mittelzufluss und darf daher nicht mit finanzieller Stärke verwechselt werden. Operativ schreibt die Stadt weiterhin Defizite.

Buchgewinne statt reale Einnahmen
Der Kern des Problems liegt in der Art und Weise, wie das Budget 2026 zustande kommt. Die Neubewertung unbebauter Grundstücke erfolgt turnusgemäss alle vier Jahre und basiert auf neu festgelegten kantonalen Steuerwerten, die seit 2009 nicht mehr angepasst worden waren. Der daraus resultierende Buchgewinn von rund 140 Millionen Franken verbessert die Erfolgsrechnung erheblich – jedoch ausschliesslich auf dem Papier.

Diese Grundstücke sind nicht frei veräusserbar, sondern dürfen lediglich im Baurecht abgegeben werden. Die Neubewertung generiert somit keine zusätzlichen Einnahmen für die Stadt. Dennoch überstrahlt dieser Buchgewinn den gesamten Haushalt und vermittelt den Eindruck finanzieller Stabilität, die in dieser Form nicht existiert. Ohne diesen einmaligen Effekt würde das Budget ein deutlich anderes Bild zeigen.

Neubewertungen verzerren die finanzpolitische Debatte
Besonders problematisch ist nicht die Neubewertung an sich – diese ist gesetzlich vorgesehen –, sondern der politische Umgang damit. Der Buchgewinn wird genutzt, um das Budget als ausgeglichen und tragfähig darzustellen, während die strukturelle Schieflage in den Hintergrund rückt. Daran ändern letztlich auch die marginalen Budgetkürzungen des Parlaments nichts. Die Neubewertung wirkt wie ein Schleier, der über die tatsächlichen Herausforderungen gelegt wird.

Diese Verzerrung hat direkte Konsequenzen für die finanzpolitische Debatte. Notwendige Diskussionen über Ausgabenprioritäten, Effizienz in der Verwaltung oder langfristige Entlastung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler werden vertagt. Stattdessen entsteht der Eindruck, es bestehe kein unmittelbarer Handlungsbedarf. Die operative Defizitlage bleibt dabei unbehandelt.

Folgen für Steuern und Standort
Die irreführende Wirkung der Neubewertung zeigt sich besonders deutlich in der Steuerpolitik. Der Steuerfuss bleibt hoch, obwohl der präsentierte Überschuss den Anschein finanzieller Spielräume erweckt. Tatsächlich fehlen diese Spielräume, da der Buchgewinn nicht liquiditätswirksam ist. Die Stadt suggeriert Stabilität, ohne real über zusätzliche Mittel zu verfügen.

Im Standortwettbewerb ist diese Strategie riskant. Winterthur steht im direkten Wettbewerb mit steuerlich attraktiveren Gemeinden wie Frauenfeld, Schaffhausen oder auch mit Städten innerhalb des Kantons Zürich, die ihre Standortpolitik aktiver gestalten. Wenn strukturelle Defizite durch Neubewertungen verdeckt werden, fehlt die Grundlage für eine ehrliche Diskussion darüber, wie Steuern, Gebühren und Abgaben langfristig wettbewerbsfähig gestaltet werden sollen.

Fazit
Das Budget 2026 zeigt eindrücklich, wie irreführend Neubewertungen sein können, wenn sie politisch als Erfolg interpretiert werden. Der ausgewiesene Überschuss ist kein Ausdruck nachhaltiger Finanzpolitik, sondern das Resultat eines einmaligen buchhalterischen Effekts. Ab 2027 fällt dieser Effekt weg – die strukturellen Probleme bleiben.

Echte finanzielle Stabilität entsteht nicht durch Buchgewinne, sondern durch konsequente Strukturreformen, klare Prioritäten und eine ehrliche Auseinandersetzung mit der operativen Finanzlage. Solange Neubewertungen als Ersatz für diese Debatte dienen, bleibt das Budget 2026 vor allem eines: ein irreführendes Zahlenkonstrukt mit aufgeschobenen Konsequenzen.

Andrin Gross
Bachelor of Arts in Politikwissenschaften

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