02.11.2020

Weshalb sagt die HAW Nein zur KVI und ja zum Gegenvorschlag?

Die Zielsetzung der Konzernverantwortungsinitative (KVI), verantwortungsvolles Handeln der Unternehmen einzufordern, ist im Grundsatz unbestritten, aber die KVI ist das falsche Instrument, um dieses Ziel zu erreichen.

Auch werden wegen ein paar wenigen schwarzen Schafen alle international tätigen Schweizer Unternehmen bestraft, die sich bereits heute grosse Mühe geben verantwortungsvoll zu handeln und in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern zu wirtschaftlichem und sozialem Fortschritt beitragen. Diesen Schwachpunkt der KVI haben auch der Bundesrat und das Parlament erkannt und haben darum einen Gegenvorschlag ausgearbeitet, der die Grundidee der Initiative – die Einhaltung von Menschenrechten - aufnimmt, aber deren grossen Nachteile wie mangelnde Rechtssicherheit und mehr Bürokratie vermeidet.

Viele Mitglieder der HAW haben Tochtergesellschaften in unterschiedlichsten Ländern auch in den sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländern. Für unsere Mitglieder ist es selbstverständlich, dass die Menschenrechte sowie lokal und international gültige Umweltstandards eingehalten werden. Viele Firmen unterstützen zudem auch über ihre ausländischen Tochtergesellschaften Bildungsinitiativen, Gesundheitszentren oder kulturelle Aktivitäten, wie sie dies auch in der Schweiz tun.

Der Grundsatz, dass wer einen Schaden verursacht, dafür einstehen und Schadenersatz leisten soll, ist unbestritten. Die (KVI) will nun aber verschiedene bewährte Rechtsprinzipien umkehren. Wenn immer ein Schweizer Unternehmen involviert ist, soll es gemäss KVI einen Gerichtsstand in der Schweiz geben und Schweizer Richter sollen über Sachverhalte aus Indien oder Brasilien urteilen können.  Ich finde es ist eine rechte Anmassung oder Arroganz, wenn die Unterstützer der KVI glauben, dass das Bezirksgericht in Winterthur besser geeignet ist, über einen Sachverhalt aus Indien oder Brasilien zu urteilen als ein Gericht in Pune oder São Paulo.

Zusätzlich wird die Beweislast umgekehrt. Natürlich muss die betroffene Person klagen, aber es genügt, dass der Sachverhalt glaubhaft gemacht wird. Das eingeklagte Unternehmen muss seinerseits aber beweisen, dass es alle notwendige Sorgfaltsmassnahmen ergriffen hat, muss also einen Entlastungsbeweis führen. Dies wird nur gelingen, wenn das Unternehmen nachweisen kann, dass es ein umfassendes Compliance Programm, bestehend aus Reporting und Audits besitzt und dieses möglichst noch von externen Stellen für teures Geld zertifizieren liess. Anstelle für neue Produkte und Technologien muss Geld ausgegeben werden, damit man für mögliche Rechtsprozesse gerüstet ist. Dies alles führt zu einem grossen bürokratischen Aufwand für viele Unternehmen, die bereits heute in einem intensiven Wettbewerb mit ausländischen Unternehmen stehen.  Schweizerische Unternehmen werden mit Zusatzkosten konfrontiert, welche Unternehmen mit Sitz in der EU,  China oder Indien nicht haben werden.

Die Initianten behaupten immer wieder, dass von der Konzernverantwortungsinitiative nur die grossen Konzerne betroffen seien, jedoch nicht KMU. Diese Aussage ist so nicht richtig. Gemäss Initiativtext soll bei der Ausgestaltung der erforderlichen Ausführungsgesetze auf kleinere und mittlere Unternehmen, die über geringe Risiken verfügen, Rücksicht genommen werden. Dieser Wortlaut ist sehr schwammig und auslegungsbedürftig. Ein Software Unternehmen, welches zum Beispiel eine Tochtergesellschaft in Vietnam oder in der Ukraine gegründet hat, muss aber aufgrund der unklaren Bestimmungen mit Klagen gestützt auf die KVI rechnen. Wer als Jungunternehmer ein neue Firma gründen will und dabei auch an die Gründung einer Tochtergesellschaft im Ausland nachdenkt, wird sich zukünftig sehr  wohl überlegen, ob er die neue Firma in der Schweiz oder im Ausland gründen soll, damit er das Risiko von langwierigen und teuren Prozessen vermeiden kann.

Die HAW sagt daher Nein zur Konzernverantwortungsinitiative, weil dank einem Nein der bessere Gegenvorschlag automatisch in Kraft tritt. Ein Gegenvorschlag, der zu keiner unnötigen Bürokratie führt und schweizerische Unternehmen im Vergleich zu ausländischen Unternehmen nicht benachteiligt. Ein Gegenvorschlag aber auch, der insbesondere Entwicklungs- und Schwellenländer auf Augenhöhe begegnet und nicht von einem postkolonialen Besserwissen geprägt ist.

Thomas Anwander, Präsident Handelskammer und Arbeitgebervereinigung Winterthur

 

 

 

Samuel Fischer 18.11.2020, 12:56

Neben der Tatsache, dass der Initiativtext, ich unterstelle klare Absicht, sehr schwammig formuliert wurde, gibt es weitere Gründe die gegen eine Annahme sprechen.
- Sämtliche Schweizer Unternehmen wären zu einer «angemessenen Sorgfaltsprüfung verpflichtet», wie diese aussehen soll wird nicht festgelegt. Dies führt zu grossem zeitlichen und finanziellen Aufwand. Versuchen Sie dies doch mal für die komplette Lieferkette ihres Smartphones zu machen.
- Die Beweislast wird umgekehrt. Dies verstösst gegen unsere Rechtsgrundsätze.
- Menschenrechte und Umweltnormen, selbst wenn grösstenteils international anerkannt, gelten nicht global.
- Schweizer Recht ist nicht global gültig und soll es auch nicht sein. Dies zeugt von postkolonialen moralischen Überlegenheitsgefühlen.
Wie würden Sie reagieren, wenn z. Bsp. China beschliessen würde, dass von chinesischen Firmen kontrollierte Unternehmen in der Schweiz nach chinesischem Recht und Normen anstelle des Schweizer Rechts wirtschaften sollen?
- Schweizer Richter sind definitiv nicht geeignet lokale Begebenheiten zu beurteilen. Auch diese Idee zeugt von moralischer Besserwisserei.
Die KVI ist somit das falsche Instrument um die hehren Ziel eines verantwortungsvollen Umgangs mit Mensch und Umwelt zu erreichen.

Anstelle das eigene Gewissen mit einem bürokratischen, benachteiligenden Gesetzt zu beruhigen, wäre es wirksamer das eigene Konsumverhalten zu hinterfragen. Natürlich ist es einfach «böse», «geldgierige» Unternehmen verantwortlich zu machen.

Alfred Gerber 09.11.2020, 19:24

Etwas Objektivität würde helfen.

Abgestimmt wird allein über den Text der Initiative, nicht über das Grundanliegen der Initiative noch über die nachgeschobenen Interpretationen und Erläuterungen der Befürworter, die sich im Laufe der Zeit immer weiter vom Text entfernt haben.

Klar ist, dass der Initiativtext ziemlich offen formuliert wurde und es - im Falle einer Annahme der Initiative - dem Gesetzgeber und den Gerichten überlassen wäre, Klarheit zu schaffen. So wird zum Beispiel das Wort "Konzern" im Initiativtext nicht mit einem Wort erwähnt. Auch sagt der Initiativtext nicht klar, dass die KMUs nicht der Sorgfaltsprüfungspflicht unterliegen; hätten die Initianten dies gewollt, wäre der Initiativtext ganz anders formuliert worden. Zudem wird nicht gesagt, was "international anerkannte Menschenrechte und Umweltstandards" sind. Fallen auch Menschenrechte darunter, die sich nur an den Staat richten? Und wieweit greifen diese in die arbeitsrechtlichen Verhältnisse ein? Oder wie sieht es mit der (ausufernden) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus? Oder der Tatsache, dass viele Normen der UNO und OECD nicht verbindliches Völkerrecht, sondern reines Soft Law darstellen? Oder sind Normen, die zum Beispiel China nicht akzeptiert, dennoch international anerkannt?

Weiter gibt es auch keine Klarheit betreffend Umfang und Detailierungsgrad der geforderten Sorgfaltsprüfung. Der Initiativtext geht diesbezüglich sportlich weit, verlangt er doch von den Unternehmen, dass sie die tatsächlichen und potenziellen Auswirkungen auf die international anerkannten Menschenrechte und die Umwelt ermitteln, geeignete Massnahmen zur Verhütung von Verletzungen ergreifen, bestehende Verletzungen beenden und Rechenschaft über ergriffene Massnahmen ablegen, und dies alles nicht nur betreffend den eigenen Tochtergesellschaften und anderen "beherrschten" Gesellschaften (z.B. Gemeinschaftsunternehmen - davon gibt es viele!), sondern hinsichtlich "aller Geschäftsbeziehungen". Wer nicht erkennt, was dies für eine Bürokratielawine produzieren wird, für den ist "Compliance-Arbeit" wohl ein Fremdwort.

Abgesehen von all diesen Unschärfen, muss auch mit Verwunderung festgestellt werden, mit welchem Enthusiasmus die Befürworter in Kauf nehmen, dass allfällige Prozesse ja nicht von den Opfern, sondern von NGOs geführt würden (wer wird wohl solche Prozesse finanzieren?) und dass sich die Schweiz anmasst, Prozesse an sich zu ziehen, die normalerweise lokal ausgefochten werden. Vergleichbares Verhalten, z.B. der USA, wurde bisher als arrogante Machtdemonstration verurteilt.

Und noch ein Gedanke: haben sich all die Befürworter schon einmal überlegt, warum die "Big 4" und die Anwaltschaft im Abstimmungskampf kaum wahrgenommen werden? Wird hier allenfalls ein neues Tätigkeitsfeld gewittert?

In dem Sinne: Es lohnt sich, den Initiativtext genau zu lesen, bevor eine Entscheidung gefällt wird!

Martin Kuster 04.11.2020, 17:14

Vielen Dank für diese Ansammlung von Unwahrheiten. Ich erlaube mir hier einiges zu berichtigen:

- "werden wegen ein paar wenigen schwarzen Schafen alle international tätigen Schweizer Unternehmen bestraft...". NEIN, KMU bis 250 Mitarbeiter*innen sind laut Initiative ausgenommen. Geschätzt werden mit 1500 betroffenen Schweizer Konzernen plus einigen KMUs von insgesamt 580'000!

- "Schweizer Richter seien nicht besser geeignet als lokale Richter vor Ort". DOCH. Wenn die Gesetze vor Ort so klar wären und die Richter dort aktiv dann wäre die Initiative ja gar nicht nötig. Oder glauben sie der lokalen Bevölkerung fehle einfach die Lust zu klagen?

"Ein Software Unternehmen, welches zum Beispiel eine Tochtergesellschaft in Vietnam oder in der Ukraine gegründet hat ... muss mit Klage rechnen". NEIN solange er nachweisen kann, dass seine Tochtergesellschaft sich an die Menschenrechte hält. Das sollte ja wohl bei einem Betrieb noch überprüfbar sein. Sollte weiter unten in der Lieferkette Mängel herrschen, ist es unwahrscheinlich, dass das Software Unternehmen haftbar gemacht werden kann, da es kein direkt von der Firma kontrolliertes Unternehmen ist.

Und noch zum Gegenvorschlag:
"Ein Gegenvorschlag, der zu keiner unnötigen Bürokratie führt und schweizerische Unternehmen im Vergleich zu ausländischen Unternehmen nicht benachteiligt."
Wie soll denn ein solcher Gegenvorschlag etwas bewirken, welcher die Firmen gegenüber menschenrechtsverletztenden ausländischen Firmen "nicht benachteiligt"?

Firmen, welche sich bereits für Menschenrechtsanliegen einsetzen haben mit dieser Initiative nichts zu fürchten. Für die Reputation der Schweiz würde es sich jedoch lohnen, die von Ihnen erwähnten "Schwarzen Schafe" zur Rechenschaft zu ziehen!

Andreas Helbling 03.11.2020, 22:48

Wenn sich eure Mitglieder ja so selbstverständlich an Gesetze und Menschenrechte halten... wo ist dann das Problem?
Ihr merkt schon, dass eure Argumente keinen Sinn ergeben, oder?

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