15.05.2023
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Sackgasse Globalbudget - Überprüfung notwendig?

Das Winterthurer Stadtparlament führt die Stadtverwaltung seit vielen Jahren mit Hilfe des Globalbudgets – ein Instrument der vielgelobten Wirkungsorientierten Verwaltungsführung (WoV). Doch die WoV war von Beginn weg mit Kritik konfrontiert und die Vor- und Nachteile werden bis heute kontrovers diskutiert. Mittlerweile ist es kein Geheimnis mehr, dass die hohen Erwartungen der Ernüchterung Platz gemacht haben. Ist es deshalb Zeit für eine Reform?

Innovativer Lösungsansatz

Die Idee der wirkungsorientierten Verwaltungsführung wurde Mitte der 1990er Jahre in die Schweiz «importiert». Sie basiert auf Praktiken im Ausland und wurde als Antwort auf den überschuldeten Staat und den überbordenden Bürokratismus gelobt.

Die Forschung machte viele Versprechen, welche positiven Folgen durch die Umstellung von einem traditionellen «detaillierten» Budget auf die WoV zu erwarten sind. Nicht nur die strategische Steuerung der Verwaltung sollte verbessert werden, sondern auch das betriebswirtschaftliche Denken gefördert werden, da kein Restbudget «aufgebraucht» werden musste.

Realität unterscheidet sich von Theorie

Die WoV war von Beginn weg mit Kritik konfrontiert und es wird bis heute kontrovers diskutiert, ob das Instrument wirksam ist. Fest steht aber, dass die bisherigen Erfahrungen dazu geführt haben, dass die hohen Erwartungen der Ernüchterung Platz gemacht haben. Von den Stadtparlamentarierinnen und Stadtparlamentariern ist in Bezug auf die WoV vor allem Kritik zu hören: an der Messbarkeit der Leistungszielen, der fehlenden strategischer Weitsicht oder ganz allgemein an der Komplexität der Unterlagen, die das Milizparlament hoffnungslos überfordert.

Augenschein vor Ort

Bei einem Besuch in der parlamentarischen Budgetdebatte musste die HAW feststellen, dass es zur Entkoppelung zwischen den Ideen der Reform und der Umsetzung gekommen ist. Vom versprochenen «betriebswirtschaftlichen Denken» war ebenso wenig zu sehen, wie von der strategischen Steuerung. Typisch war, wie sich das Parlament im Detail verloren hat und um wenige Zehn- oder Hunderttausend Franken diskutierte – bei geplanten Ausgaben von knapp 1.7 Milliarden Franken.

WoV in Vergessenheit geraten? Die Forschung schaut weg

Doch wie geht man mit dieser Situation am besten um? Aus wissenschaftlicher Sicht scheint eine Lösung weit weg zu sein. Professor Kuno Schedler, einer der bekanntesten Forscher auf dem Gebiet, drückt es folgendermassen aus: «Zu WoV wird sowohl international wie auch in der Schweiz kaum mehr geforscht. Die Forschung sucht typischerweise nach neuen Themen, wenn die alten Pfade ausgetrampelt sind.» Auch Professor Ritz von der Universität Bern stellt fest, dass es kaum mehr aktuelle Forschung zum Thema gibt und die WoV grossmehrheitlich mit ihren Vor- und Nachteilen umgesetzt wurde.

 

Wandelt Winterthur also auf einem ausgetrampelten Pfad, den man nicht verlassen kann? Die WoV ist heute so weit gefestigt, dass ein Zurück zur traditionellen Verwaltungsführung kaum mehr vorstellbar und auch nicht wünschenswert ist. Vielmehr geht es darum, konkrete operative Handlungsfelder zu definieren, damit die Stadt einen Schritt in die richtige Richtung machen kann. Aufgrund von Gesprächen mit Finanzpolitikern und Finanzfachleuten aus der Privatwirtschaft sowie von Diskussionsbeiträgen von verschiedenen Personen in den letzten Jahren macht die HAW die nachfolgenden Vorschläge:

 

  • Überprüfung ob jetziges System der Globalbudgets noch Sinn für Winterthur macht
    Analog zu andern Städten wie Baden, Zürich, Bern etc. kann mit einer Evaluation objektiv überprüft werden, ob das jetzige System der Globalbudgets noch Sinn für Winterthur macht Dabei können sowohl die Wirkung als auch die Effizienz der Verwaltungsführung bewertet werden. Die Ergebnisse können genutzt werden, um die WoV zu verbessern und weiterzuentwickeln.
  • Anpassung des Budgetprozesses
    Es ist wichtig, dass das Parlament bereits in einer frühen Phase die Möglichkeit hat, konkrete Vorgaben zu machen. Aktuell sind viele Ziele nicht so einfach überprüfbar.  In einem weiteren Schritt muss die Verwaltung dann aufzeigen, wie diese Vorgaben umgesetzt werden können.
  • Stärkere Aufsicht durch die Aufsichtskommission (AK)
    Die Stadt Winterthur hat keine eigene Rechnungsprüfungskommission (RPK), so wie das etwa in Zürich der Fall ist. Deshalb muss die AK verstärkt die Rolle der RPK wahrnehmen und gegenüber den einzelnen Sachkommissionen ein eigenes Antragsrecht erhalten.
  •  Präzisere Regeln betreffend gebundene Ausgaben
    Bei der Aufstellung des Budgets und des Finanz- und Aufgabenplans muss sorgfältig abgewogen werden, welche Ausgaben wirklich notwendig sind und welche nicht. Gebundene Ausgaben machen dieser Balance aber einen Strich durch die Rechnung. Denn diese müssen budgetiert werden, ohne Wenn und Aber. Dass Ausgaben aber gerne auch ohne Dringlichkeit mal als «gebunden» klassifiziert werden, zeigt das Fiasko rund um die Sanierung des Stadttheaters.

 

Das Stadtparlament und der Stadtrat werden bei der Aufstellung des Budgets 2024 sowie des Finanz- und Aufgabenplans für die kommenden Jahre gefordert sein, Antworten auf die strategischen Herausforderungen zu finden. Die WoV spielt dabei eine entscheidende Rolle, ob die Stadt in der Lage ist, ihre Ziele und Prioritäten klar zu definieren und ihre Ressourcen effektiv einzusetzen. Durch die Überprüfung der WoV, der Anpassung des Budgetprozesses, der Stärkung der AK und präziseren Regeln betreffend gebundene Ausgaben kann Winterthur sicherstellen, dass die WoV ihre beabsichtigte Wirkung entfaltet und die Bedürfnisse der Bürger erfüllt werden.

Martin Stauber 18.05.2023, 13:49

Die gebundenen Ausgaben sind übrigens unabhängig davon, ob Budget und Rechnung nach dem "klassischen" System oder nach WoV organisiert sind. Die Definition ist zudem kantonal geregelt.

Martin Stauber 18.05.2023, 13:37

Die wirkungsorientierte Verwaltungsführung (WoV) hat unbestrittene Mängel, aber das frühere System war mit Sicherheit für das Milizparlament nicht besser. In der Stadt Winterthur startete 1996 eine Pilotphase mit 12 WoV-Betrieben, ab 2006 funktionierte die gesamte Stadtverwaltung nach dem WoV-Prinzip mit parlamentarischen Zielvorgaben, Indikatoren und Globalbudgets für jeden WoV-Betrieb. Diese sind in der Regel auf Amtsstufe, also eine Ebene tiefer als die Departemente. Die Stadt Winterthur hat 42 WoV-Betriebe (Produktegruppen genannt) in 7 den Departementen und 4 WoV-Betriebe in den Behörden.
Die hauptsächlichen Nachteile des "klassischen" Systems vor WoV waren: 1) Die getrennte Beratung von Rechnung und Geschäftsbericht durch RPK und GPK, 2) Budgets mit vielen Frankenbeträgen, aber keinen Bezug zu den Leistungen, welche für dieses Geld erbracht werden.
WoV war diesbezüglich ein Quantensprung: Neu wurden die Leistungen und die Kosten zusammengebracht. Und sie wurden mit parlamentarischen Zielvorgaben ergänzt, welche a) strategisch und b) für ein Milizparlament verständlich waren.
Zur Kritik der Komplexität: WoV ist kompliziert, weil die Verwaltung komplex ist. Mit den Zielvorgaben und den Indikatoren wurde diesbezüglich parlamentsfreundlichere Parameter geschaffen. Aber die Beschäftigung mit Budget, Rechnung und Geschäftsbericht für die gesamte Stadtverwaltung ist und bleibt anspruchsvoll, insbesondere für ein Milizparlament auf Gemeindeebene. Seriöse Parlamentsarbeit war, ist und bleibt Knochenarbeit.
Eine Reform kann sicher nicht schaden, aber sie sollte nicht rückwärts Richtung altes Systemgehen, sondern vorwärts. Und sie wird die Komplexität des Budgets und der Rechnung der Stadt nicht reduzieren können.

Philipp Stoffel 15.05.2023, 12:47

Ich teile die geschilderten Gedanken über WoV. Auch ich durchlebte (damals noch als Brückeningenieur des Kantons Solothurn) die Phase der Euphorie ("endlich mal etwas Neues, das den Staub aus der Verwaltung pusten kann"), um wenige Jahre später ernüchtert einsehen zu müssen, dass die selbstgenerierte Komplexität des Systems WoV insbesondere bezüglich der entstehenden und entstandenen Zielkonflilkte kaum wirkungsvoll zu beherrschen ist.
Was tun? Der Vorschlag der Überprüfung macht durchaus Sinn, vielleicht müsste man sogar mit den Regeln für gebundenen Ausgaben beginnen :-).
Ob Anpassungen von Budgetierungs- oder Aufsichtsprozess sinnvoll sind, bezweifle ich, da die Komplexität dadurch weder abnimmt und noch die Verantwortungen "besser" definiert.
Affaire à suivre

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