19.01.2022

Ecken und Kanten der liberalen Politik

Die Handelskammer und Arbeitgebervereinigung (HAW) lud kürzlich zur Gesprächsrunde im Dialograum von Romana Heuberger ein. Zwei bekannte Namen liessen sich für den Anlass gewinnen, Dr. Peter Grünenfelder, Direktor des Think Tanks Avenir Suisse und möglicher Kandidat der FDP für den Regierungsrat des Kantons Zürich und Yvonne Beutler, Beraterin bei Res Publica Consulting AG und ehemalige Finanz-Stadträtin von Winterthur.

Erfolgsmodell unter Druck
«Der Kanton Zürich ist kein schlechter Standort, doch er verliert gegenüber den anderen Kantonen je länger je mehr an Wettbewerbsfähigkeit», mahnt Grünenfelder in seinem Einstiegsreferat. Tatsächlich kann beobachtet werden, dass immer mehr Unternehmen aus dem Kanton wegziehen, um sich in steuergünstigeren Gebieten niederzulassen. Auch bei den Neuregistrierungen im Handelsregister hinkt Zürich den anderen Kantonen hinterher, was auf eine sinkende Innovationsfähigkeit hindeutet. Die Gründe dafür sieht Grünenfelder bei der zunehmenden Regulierungsdichte, wachsender Ineffizienz der Verwaltung und der fehlenden Digitalisierungs-Dividende, weil keine konsequente Umstellung von analogen auf digitale Prozesse im öffentlichen Sektor erfolgt.

Wachsende Verwaltung
Obwohl der Kanton (wie auch die Stadt Winterthur) für die nächsten Jahre Verluste in Millionenhöhe prognostiziert, werden munter Jobs im öffentlichen Bereich geschaffen. Kantonal kommen dieses Jahr 1’120 zusätzliche Stellen dazu und auch in Winterthur wächst der öffentliche Sektor doppelt so schnell wie der Privatsektor. Einen positiven Effekt auf die Effizienz der Verwaltung ist nicht zu erkennen, so dauert es in Zürich rund zwei Wochen länger als in den anderen Kantonen, bis eine Baubewilligung erteilt wird. Sowohl Grünenfelder als auch Beutler sehen in der Überwindung des Silodenkens der verschiedenen Departemente eine Chance für eine effizientere Verwaltung. «Die Zusammenarbeit zwischen den Departementen sehe sie als problematisch, da herrscht noch zu fest das «Silodenken» der einzelnen Direktionen», so Beutler.

Fehlende Digitalisierungsdividende
Viele Privatpersonen wie auch Unternehmen wünschen sich digitale Prozesse zur Vereinfachung und Verbesserung der öffentlichen Dienste. Obwohl Winterthur in den letzten Jahren Millionen in die Digitalisierung investiert hat, können einzelne Amtsgeschäfte noch immer nur vor Ort erledigt werden. Andere Dienstleistungen werden sowohl digital als auch analog angeboten und sorgen so für mehr Aufwand als nötig – in privatwirtschaftlichen Unternehmen undenkbar im Jahr 2022. Die Doppelspurigkeit prangerte auch Beutler an, die es oft erlebt hat, dass man politische Gremien zuerst überhaupt vom Nutzen der digitalen Lösungen überzeugen muss. So ist es auch nicht überraschend, dass die Schweiz im eGovernment Benchmark 2021 der Europäischen Kommission auf der kläglichen Position 30 von 36 rangiert.

Führung durch New Public Management
Auch über Effektivität der Führung durch Methoden des New Public Managements (NPM) wurde diskutiert. Beutler, die selbst im Winterthurer Parlament tätig war, als der Ansatz eingeführt wurde, bemängelte die aktuelle Umsetzung: «Man kann nicht auf der einen Seite allgemeine Ziele vorgeben, um dann auf der anderen Seite die Menge an Bleistiften vorschreiben, die dazu verwendet werden darf». Auch die aktuellen Rechnungsbücher (Beispiel Globalbudget) bezeichnet sie als «Albtraum» und stimmt HAW-Präsident Thomas Anwander zu, der die von der Stadt zur Verfügung gestellten Budget-Unterlagen als sehr benutzerunfreundlich beschreibt.

Grünenfelder, der seine Dissertation zum Thema NPM geschrieben hat, pflichtet Beutler bei: «Das Grundkonzept, dass das Parlament Ziele vorgibt, ist nicht gescheitert. In der Praxis verharrt man aber noch zu fest in alten Denkmustern, die zu extensiven Auswüchsen führen».

Zusammenarbeit ist wichtig
Ralph Peterli, Geschäftsführer der HAW, hob in seinem Schlusswort einen wichtigen Punkt hervor: «Es braucht Zusammenarbeit über politische Grenzen hinweg, um die Erosion des städtischen Erfolgsmodells aufzuhalten». Eine echte Verbesserung lässt sich nur erreichen, wenn bei allen Involvierten der Sinn für die Notwendigkeit besteht, etwas gegen die steigende Überschuldung, abnehmenden Steuererträge und zunehmende Regulierungsdichte zu unternehmen. Dass der sparsame Umgang mit den finanziellen Ressourcen nicht zwingend ein links-rechts Thema sein muss, hat auch Yvonne Beutler demonstriert. Sie hat sowohl mit bürgerlicher als auch mit links-grüner Mehrheit ein Sanierungsprogramm durchgeführt.

Referat und Diskussion online
Der Anlass wurde via Live-Stream übertragen. Sowohl das Referat als auch die Diskussion sind weiterhin aufrufbar. Über die bereits genannten Themen hinaus wurde zu Steuern, Subventionen, Interessensgruppen, Wahlen und vieles mehr diskutiert, das Anschauen lohnt sich.

Handelskammer und Arbeitgebervereinigung Winterthur
Amiel Schriber und Dr. Ralph Peterli

 

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