27.11.2021

Ausbau des Winterthurer Bahnhofs: Lässt die Stadt strategisches Denken vermissen?

Die Passagierzahlen am Winterthurer HB werden steigen, doch der Platz für die Vergrösserung ist beschränkt. Obwohl ein jahrelanges Verfahren die bestmögliche Lösung hervorbringen sollte, überzeugen die nun vorgestellten Pläne der SBB und der Stadt längst nicht alle. Sind die beiden zusätzlichen Gleise inkl. neuem Wendebahnhof Vogelsang ein guter realpolitischer Kompromiss? Oder verpasst man damit die einmalige Chance, einen visionären Tiefbahnhof à la Durchmesserlinie zu bauen?

Daniel Oederlin hat eine Vision für ein «Jahrhundertprojekt»: «Ein Tiefbahnhof zwischen Wyland- und Storchenbrücke würde ein oberirdisches Zusammenwachsen der Stadt erlauben», sagt der Winterthurer Architekt. Zudem könnten auf dem heutigen Trassee eine neue Parkzone und ein oberirdisches Busnetz konzipiert werden. Das Areal gehöre der SBB, folglich könnte man die entstehenden Mehrkosten längerfristig mit einem umfassenden Immobilienkonzept nach dem Vorbild der Europaallee wieder einspielen. Für ihn ist der gemeinsame Variantenvorschlag der SBB und der Stadt Winterthur für zusätzliche Gleise entweder Richtung Rudolfstrasse oder Richtung Bahnhofgebäude, kombiniert mit einem Wendebahnhof beim Vogelsang-Areal, nicht genug durchdacht und deshalb «eine verpasste Chance». «Das jetzige Vorgehen mündet in einigen Jahren wieder in neue Sachzwänge, die dann mit weiteren zu kurz gedachten Lösungen kurzfristig behoben werden müssen», so Oederlin. «Andere Städte wie Luzern oder Bern erwägen Tiefbahnhöfe ebenfalls als valide Alternative – und als Pionierstadt Winterthur finde ich, sollte man sich zumindest ernsthaft mit dieser Möglichkeit befassen.»

Werner Schurter, alt Gemeinderat Winterthur und Leiter Regionen bei der SBB, unterstreicht die Richtigkeit des jetzigen Vorgehens: Natürlich sei es schön, sich grosse Tiefbau-Lösungen auszumalen, allerdings stünden die beiden vorgeschlagenen Varianten einer Tiefbahnhoflösung auch in Zukunft nicht im Weg. Realpolitik heisse in diesem Fall halt auch, realisierbare Mittelwege zu finden: «Positiv ist, dass wir uns sehr intensiv  mit dem Thema befassen. Die jetzige Stossrichtung mit den beiden Varianten ist ein guter Kompromiss aus einer vielfältigen Diskussionsphase und lässt uns für die Zukunft immer noch viel Spielraum.» Natürlich spielten auch die Kosten eine entscheidende Rolle. Im Kanton Zürich sind für 2035  mehrere Projekte wie der Brüttener Tunnel und der Ausbau der Bahnhöfe Stadelhofen und Grüzevorgesehen, welche auf die Bahn in Winterthur Einfluss haben.. Bezüglich eines oberirdischen Zusammenwachsens erklärt er: «Es wäre illusorisch zu glauben, man könne alle Gleise unter die Erde verlegen – denkbar wären beispielsweise für die längerfristige  Zukunft vier Gleise à la Durchmesserlinie. Schurter bekräftigt: «Man sollte hier nicht zu ultimativ denken. Beide Varianten erlauben eine hohe Flexibilität bezüglich des langfristigen Bahnhofausbaus auch über 2045 hinaus.»

Christoph von Ah, Präsident Forum Architektur Winterthur und Mitbegründer des eigens für die Ausbaudiskussion gegründeten Vereins «Unser Bahnhof Winterthur», stellt das Vorgehen ebenfalls grundsätzlich in Frage: «Bei diesem Projekt hat man sich anscheinend nicht gefragt, was Winterthur wirklich braucht, sondern, was jetzt gerade möglich scheint.» Der Bahnhof strotzt aktuell nur so von städtebaulichen Verfehlungen, insbesondere die Übergänge zur Stadt sind oft sehr isoliert konzipiert, beispielsweise die neuen Aufgänge an der Rudolfstrasse. Auch der Übergang zum Busbahnhof müsse unbedingt in die Planung einbezogen werden, denn dieser sei aktuell nicht nur nicht einladend, sondern sogar gefährlich. Auch die Umsteigemöglichkeiten vom neuen Wendebahnhof, der auf dem Vogelsang-Areal entstehen soll, liesse zu wünschen übrig. Seiner Ansicht nach müsse man im ganzen Projekt die Scheuklappen abnehmen und allfällige Finanzierungs- oder sonstige Realisierungsprobleme erst einmal aussen vorlassen. Denn, so von Ah, «wenn alle in Wirtschaft und Politik wirklich wollen, wäre auch ein visionäres Projekt realisierbar. Wir müssen als Winterthur grösser denken, denn wir haben einen besseren Bahnhof verdient als den, der nun angedacht ist.» Deshalb habe man den Verein Unser Bahnhof Winterthur gegründet: «Wir sehen uns als kritische Begleiter dieses Projekts, die die Bedürfnisse der Bevölkerung an die entscheidenden Stellen heranträgt.»

Dass der Diskurs um den Bahnhof in der Öffentlichkeit jetzt erst so richtig loszugehen scheint, ist an sich erfreulich. Doch man fragt sich, ob die Stadt mit dieser Lösung wirklich das langfristig bestmögliche Ergebnis rausholt. Wurde die Entwicklung der Region in die Planung miteinbezogen, beispielsweise, ob der Ausbau des Bahnhofs Grüze allenfalls eine abschwächende Wirkung auf die Passagierzahlen im Bahnhof Winterthur haben könnte? Geht die Stadt hier tatsächlich strategisch und gesamtheitlich genug vor? Wird insgesamt zu provinziell gedacht? Die Zukunft wird es zeigen…

red/ms

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