19.03.2025
1117 Tage auf der Walz
Der Begriff Walz – oder auch Tippelei – bezeichnet die Wanderjahre, welche Handwerkersleute nach einer abgeschlossenen Lehre und einem Gesellenbrief im Sack unternehmen dürfen, um berufliche Erfahrungen zu sammeln und verschiedene Landstriche zu erkunden. Die Walz ist eine jahrhundertealte Tradition, welche bis ins Mittelalter zurückreicht.
Vom 12. bis 19. Jahrhundert war es Usus, dass Handwerksgesellen in ihrer schwarzen Kluft und mit ihrem Stenz (einem Wanderstab aus gedrehtem Holz) unterwegs waren. Mit der einsetzenden Industrialisierung schwand nicht nur der Einfluss der Zünfte und Gilden, in denen die verschiedenen Handwerksberufe organisiert waren, sondern auch die Bedeutung der Gesellenwanderschaft als Teil der Ausbildung. Doch gibt es auch heute noch Handwerker:innen, welche sich für eine dreijährige Wanderschaft entscheiden, ihren schwarzen Hut aufsetzen, ihr Bündel schnüren und freireisend oder in einer Schacht (einer Vereinigung) aufzubrechen. Pro Jahr sind dies im deutschsprachigen Raum einige wenige hundert Personen.
Die Winterthurer Schreinerin Sara Zünd war eine von ihnen. Sie begab sich von 2018 bis 2021 als Wandergesellin zu Fuss und per Anhalter quer durch Europa. Der Winterthurer Fotograf Felix Singer begleitete sie streckenweise auf der Walz mit seiner Fotokamera und schuf damit ein wichtiges Zeitzeugnis. Seine Fotografien sind aktuell in der Alten Kaserne Winterthur ausgestellt. Gemeinsam haben Zünd und Singer zudem das Buch «1117 Tage auf Tippelei» herausgegeben, welches Singers Fotografien respektive Zünds Erinnerungen an die Reise enthalten. Passend zur schwarzen Kleidung der wandernden Handwerksleute sind die Fotografien schwarzweiss, was ihnen einen zeitlosen Aspekt verleiht. Sie zeigen eine gelebte Tradition, der sich vermehrt auch Handwerkerinnen anschliessen. 2015 hat die UNESCO die Walz bzw. Tippelei als immaterielles Kulturerbe anerkannt.
Die Ausstellung hat mit der Alten Kaserne Winterthur einen idealen Präsentationsort gefunden, denn diese wurde 1765 unter der Leitung von Salomon Sulzer erbaut und ist ein Paradebeispiel für die Zimmermannskunst.
Die ausgestellten Fotografien können erworben werden und das umfangreiche Buch, welches zu einer geistigen Zeit- und Kulturreise einlädt und alle relevanten Begriffe rund um die Gesellenwanderschaft erklärt, kann bei den Herausgebern über die E-Mail-Adresse 1117tage@gmail.com bestellt werden. Der Verkaufspreis beträgt CHF 55.- (Eigenverlang Zünd & Singer).
Text und Bild: Lucia Angela Cavegn
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Eindrückliche Foto-Ausstellung in der Alten Kaserne Winterthur
Ort: Alte Kaserne, Technikumstrasse 8, Winterthur
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 8 bis 23 Uhr, Samstag 9 bis 24 Uhr, Sonntag geschlossen
Dauer der Ausstellung: bis 28. März 2025 (um einen Tag verlängert)
Anwesenheit von Sara Zünd und/oder Felix Singer:
Freitag, 21. März, 14 bis 18 Uhr
Samstag, 22. März, 11 bis 14 Uhr
Donnerstag, 27. März, 14 bis 19 Uhr